Vom Niedergang der Nachtzüge (von H. Monheim)

Es ist ein verkehrspolitischer Skandal, dass die meisten Bahnen Europas derzeit unter dem Druck der typischen Rationalisierer und Kostensparer den Rückzug aus den Netzen und aus dem Nachtverkehr planen und damit quasi ihre Bahnkultur und Position als umweltschonender, klimafreundlicher, energiesparsamer, postfossiler Verkehrsträger opfern.

Prof. Dr. em. Heiner Monheim

Nachtzüge gehörten in den Blütezeiten zu den „Flaggschiffen“ der europäischen Bahnen. Sie verbanden Europas Zentren mit Luxuszügen, die mit hohem Aufwand gestaltet und betrieben wurden. Zusammen mit den großen Bahnhöfen symbolisierten sie die großartige Bahnkultur. Hinzu kamen dichte inländische Nachtzugnetze, die alle größeren Städte miteinander verbanden. All das fand hohe Akzeptanz.

Seit den 1960er Jahren folgte dann der schrittweise Verfall der Bahnkultur, Infrastrukturen und Nachtzugangebote mit Netzabbau, Taktausdünnung, Bahnhofsschließungen und Serviceabbau. Investiert wurde primär in wenige Korridore und Knoten der neuen Hochgeschwindigkeitsnetze, ansonsten war „Kaputtsparen“ angesagt, als angeblich notwendige Rationalisierung.  Die Nachtzüge mit ihrem vergleichbar hohen Service- und Personalaufwand waren den Rationalisierern ein besonderer Dorn im Auge.

Eine kreative Modernisierung der Nachtzüge wurde versäumt. Der alte Wagenpark musste wegen verschärfter Sicherheitsauflagen schrittweise ausrangiert werden. Die klassischen Abteilwagen, in denen durch einfaches Ausziehen gegenüberliegender Sitze Liegen erstellt werden konnten, wurden durch Großraumwagen mit starren Sitzen ersetzt. Neue Schlaf- und Liegewagenkreationen wurden nur in bescheidenen Stückzahlen produziert, als monofunktionale Spezialwagen, die eine flexible Mehrfachnutzung über Tag verhinderten. So entstanden lange Wartezeiten an den Linienenden, ehe für die Folgenacht in der Gegenrichtung zurückgefahren werden konnte. Das Speisewagenangebot wurde durch Pappschachtelfrühstück und einfachste Snacks ersetzt. Pro Schlafwagen fuhr ein Betreuer mit, ebenso pro zwei Liegewagen. Hinzu kam das normale Zugbegleitpersonal. Eine Doppelnutzung des Personals wurde wegen der Ausgliederung in spezielle Gesellschaften erschwert.

Immerhin gab es Versuche, die Wirtschaftlichkeit der Nachtzüge mit Hilfe der Flügelung zu steigern. Mehrere Linien wurden auf einer Kernstrecke gemeinsam geführt, im Vor- und Nachlauf aber getrennt. Zudem wurden Schlaf- und Liegewagenzüge um normale Reisezug-Sitz-Wagen ergänzt. Durch zusätzliche Zwischenhalte in den Start- und Zielregionen im Spätverkehr oder Frühverkehr wurde eine hohe Auslastung gesichert. Trotz des seit Jahren schrittweise reduzierten Angebots blieb die Nachfrage auf den verbleibenden Nachtzügen hoch, mit im Jahr 2013 1,4 Millionen verkauften Betten und Liegen und 1,2 Millionen Sitzwagenreisenden.

Allerdings wurde das Umfeld immer schwieriger, weil den Nachtzügen seit Ende der 1990er Jahre immer mehr Konkurrenz aus dem innereuropäischen Flugverkehr erwuchs. Es entstanden neue Städteverbindungen in die hochsubventionierten Regionalflughäfen durch die Billigflugangebote. Hinzu kam als Konkurrenz nach der Marktöffnung 2013 der Fernbus mit vielen neuen, billigen Städteverbindungen, darunter auch immer mehr Verbindungen im Nachtverkehr.

Satt nun diese Herausforderung anzunehmen und mit eigenen Offensivkonzepten zu reagieren, kündigt[e] die DB den vollständigen Ausstieg aus dem Nachtzugangebot an und will die letzten Reste des Geschäfts den russischen Staatbahnen und der ÖBB überlassen. Dies ist ein fataler verkehrspolitischer Offenbarungseid, weil die DB damit in der Mitte Europas ein großes Loch im europäischen Nachtzugnetz hinterlässt, das auch für die Nachbarländer auf den transeuropäischen Achsen die Durchgängigkeit sprengt. Diese Netzzerstörung läuft allen klima- und energiepolitischen Herausforderungen und Hausaufgaben der europäischen und deutschen Verkehrspolitik zuwider und bedeutet das schmachvolle Ende deutscher und europäischer Bahnkultur.

Heiner Monheim lehrte von 1995-2011 Raumentwicklung an der Universität Trier. Vorher hat er 10 Jahre im Verkehrsministerium NRW und 15 Jahren in der Bundesraumordnung gearbeitet. Er ist Gründungsmitglied von BsB, VCD und ADFC und Mitinhaber des Instituts für Raumentwicklung und Kommunikation in Trier. Er ist seit frühester Kindheit bis heute regelmäßiger Nutzer von Nachtzügen in allen Variationen. Der Text ist der erste Teil eines Beitrags, der zuerst 2016 zum Konzept Lunaliner veröffentlicht wurde (zu Teil II, zu Teil III).

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.